Willkommen bei Klaus Kirschbaum in Köln
Willkommen bei Klaus Kirschbaum in Köln

Drei Stationen

Das passiert mir auch selten: Um 9 h morgens auf dem Weg nach Hause ... warte gerade an der Haltestelle Heumarkt Richtung Königsforst. Hatte einen Termin schon um 8 h bei der Handwerkskammer, einige hundert Meter von hier. Zwar war es seiner Zeit nicht gelungen, eine staatliche Anerkennung für Adnans Elektrotechnik-Diplom zu erreichen. Doch dann hat er die Chance bekommen, an einer Eignungsfeststellungsprüfung der Handwerkskammer teilzunehmen - mit Erfolg! Er hat jetzt eine Anerkennung als Meister im Bereich der Elektrotechnik. Das hat mich positiv überrascht, denn seine B2-Deutschkenntnisse sind in Prüfungen dieser Art nicht gerade ausreichend.

Jetzt macht er sich auf den Weg in die Selbständigkeit - er ist da, wo er nach seiner Flucht nach Deutschland vor fünf Jahren hin wollte. Ich merke ihm an, dass er, der ständige Optimist, regelrecht auflebt. Immer wieder erlebe ich regelrechte optimistische Aus- und Aufbrüche; neue Pläne. Alle Rückschläge hat er weggelächelt, hat immer an seine Zeit geglaubt ... gelegentlich war ich selber gar nicht so optimistisch.

Nun hatten wir wieder einen Beratungstermin bei der Kammer und zahlreiche rechtliche und kaufmännische Details besprochen ... hatte schon einen dritten Entwurf seines Geschäftsplans mit ihm besprochen und geschrieben. Während ich noch in 'Rentabilitätsvorschau' und 'Finanzierungsplan' vertieft am Bahnsteig stehe - Adnan war nach unserem Termin längst zu seiner Baustelle unterwegs - höre ich die Frage

"Haste mal nen Euro?"

Es gibt Situationen, mit denen man gerade nicht gerechnet hat, oder? So hat mich auch dieser junge Mann überrascht. Obwohl er wohl Mitte 20 ist, zeigen seine Bartstoppeln bereits einen leichten Grauschimmer, ja, insgesamt sah er eher aus wie über 40. Mitte 40-Jährige schmücken sich ja gern mit wichtigen Falten auf der Stirn, bei ihm hängen sie aber bestimmt mit Müdigkeit und etwas ungesundem Leben zusammen. Seine Kleidung weist ihn als Waschmittelgegner aus und eitel ist er bestimmt auch nicht.

"Warum?" rutscht mir raus, ohne darüber nachgedacht zu haben.

"Hunger", seine knappe Antwort.

"Kein Problem", ich deute auf eine Backwerk-Filiale hinter ihm. "Willst du ein Brötchen? Mit Käse oder Schinken?" schiebe ich hinterher.

"Schinken" seine spontane Entscheidung.

Nur einige Schritte und ich bin in der noch sehr sauberen und gut bestückten Filiale. Nach Minuten bin ich wieder draußen und gebe ihm das Schinkenbrötchen. Scheint wirklich großen Hunger zu haben; und verdutzt schaut er immer noch, ich wohl auch. Mit einem "guten Appetit" verabschiede ich mich und steige kurz drauf in die Linie 9 - schon stehe ich in Türnähe im Gedränge. 

Ich schätze es nicht sonderlich, im dichten Gedränge von Station zu Station zu fahren. Aber ich bin ja selbst auch Teil der Enge. Unauffällig schaue ich mich wie gewohnt um, mustere meine Umgebung und denke mir 'meinen Teil', schätze ab, stelle Vermutungen an, belausche Gespräche und Telefonate ... ärgerlich, wenn das in einer mir unbekannten Fremdsprache passiert. Auch glaube ich nicht selten, dass ich jemandem ansehen kann, was im Inneren los ist. Viele Gesichter sprechen Bände. Die Augen verraten viel - nur blöd, wenn jemand eine Sonnenbrille trägt; ärgerlich und überflüssig, vor allem bei Regen oder in der Dunkelheit.

So stehe ich jetzt neben einer jungen Studentin - Kleidung, Sprache, Gepäck deuten darauf hin. Sie spricht leise in ihr Handy. Angenehme, ruhige Stimme, klare Sprache und ein glücklicher, ein wenig aufgeregter Gesichtsausdruck. Das lässt mich vermuten: frische Bekanntschaft, kaum unterdrückbare Zuneigung, oder? Bin mir sicher ...

Ich versteh zwar zunächst kein Wort, auch ihre Augen kann ich nicht klar erfassen - es sei denn, ich schaue direkt hin; dann würde sie sich natürlich abwenden, sollte sie es bemerken. Also schaue ich mit neutralem Gesichtsausdruck mal auf mein Handy, mal in die Runde. Lasse meinen Blick mal hier kreisen, mal da verharren.

Doch noch vor der Haltestelle 'Deutzer Freiheit' erfasse ich einige Worte, aber alles noch ohne Zusammenhänge. Es geht um Grundsätzliches, so scheint mir, denn ihr Gesichtsausdruck verliert den positiven Glanz. Sind beim Lächeln noch etliche kleine Gesichtsmuskeln dabei, die Mundwinkel Richtung Ohr zu ziehen, erschlaffen diese Muskeln, wenn das Lächeln langsam aufhört.

Und gerade junge Frauen verraten, was in ihnen vorgeht, wenn man die Augen beobachten kann - kaum zu beschreiben. Jetzt lauscht sie ihrem Gesprächspartner, ohne die Umgebung wahrzunehmen, so scheint es. Ihre Mimik erscheint mir dem Zustand "neutral" zu entsprechen. Was mag der Gesprächspartner erzählen? Wie das auf sie wirkt, das sehe ich ja. Denn Euphorie ist verflogen. Eigentlich will sie die ganze Zeit etwas sagen, doch sie lässt ihn weiterreden. Dann kommt sie zu Wort:

"Es gibt ja keine Treuepflicht, aber es würd mich halt freun ..."

Sie hält inne - kann nicht beurteilen, warum. Weil er weiter redet? Weil ihr die Worte fehlen? Und ich konnte auch nicht weiter beobachten und belauschen, weil sie am Bahnhof Deutz plötzlich aussteigt. Hier steigt man aus, wenn man mit der Bundesbahn ein Ziel im weiteren Umland Kölns anstrebt - angesichts der Uhrzeit eine gewagte Vermutung.

Nun vermute ich mal, dass diese Beziehung nicht von langer Dauer war. Gern hätte ich gleich nach dem Satz einen 'klugen Rat' gegeben ... nämlich "vergiss ihn". Ist doch klar, oder? Aber im Gegensatz zu früheren Jahren bin ich heute eher zurückhaltend mit meinen Ratschlägen -  nicht nur, weil es auch den Spruch gibt: "Ratschläge sind auch Schläge"

(6. Dezember 2019)

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© Klaus Kirschbaum