Willkommen bei Klaus Kirschbaum in Köln
Willkommen bei Klaus Kirschbaum in Köln

Leev Marie

Theo kenne ich flüchtig, schon lange. Ich kenne ihn über Walter, der zum Monatsende die Kölner Stadtrevue ’Tag & Nacht’, aber auch 'Ruthe: Das Klobuch' und vergleichbare Schriften, in den Kneipen zwischen Nippes und Südstadt verkauft. Walter Hoischen kennen viele Kölnerinnen und Kölner, denn er war 1999 für viele überraschend ein richtiger Kandidat in Köln bei der Wahl zum Oberbürgermeister. Das genaue Ergebnis habe ich nicht mehr im Kopf. Aber als alternativer, parteiloser Kandidat erhielt er mehr Stimmen als der Kandidat der FDP.

Theo, ein sportlicher Typ, oft in sich gekehrt, ist mir aufgefallen, weil er ausschließlich Mineralwasser trinkt. Und das in Köln, und das sogar Karneval. Weiberfastnacht treffe ich ihn nachmittags in der Südstadt in der Wagenhalle der Comedia in der Vondelstraße. Die meisten von uns sind noch nebenan im Filos, aber das ist mir jetzt zu voll. Nun muss ich auch erst einmal Wasser trinken und Festes zu mir nehmen. Finde ich gut, dass er hier rumsitzt, denn ich kenne ihn ja nicht wirklich. Und neugierig bin ich ohnehin immer ...

"Du Wasser", fragt er mich, "keine Weinschorle?"

"Ja, Wasser, Weiberfastnacht trinke ich keine Schorle, sondern notgedrungen Kölsch, das geht nicht anders ... Und warum schaust du heute so grimmig?"

"Ich habe sooo einen Hals. Du weißt doch, dass Marie mich verlassen hat, oder?"

"Ja, das weiß jeder. Aber ihr seid doch nicht verheiratet. Und so, wie ihr euch angeschaut habt, war mir das klar! Warum wusste ich nicht." 

"Du hättest mal dabei sein müssen, wenn wir unter vier Augen waren. Da war sie ein Biest, die haute Sprüche raus, die würde ihr niemand zutrauen!" Dabei hatte er einen Gesichtsausdruck ...

Das überrascht mich. Ich sehe sie vor mir, blonde, feine Haare, meist Pferdeschwanz, sie schaut gern etwas spitzbübisch, humorvoll, hat ein breites Lächeln, wobei sie ihre weißen Zähne zeigt, im Gegensatz zu meinen Zähnen - da ich als Kind die Zahnspange gemieden habe, sind sie krumm und schief... Freilich ist sie nicht immer gut drauf, manchmal etwas in sich gekehrt, ernst, den Kopf etwas nach vorn geneigt. So sieht Marie aus, wenn sie sagt, dass ihr Tochter Marayle fehle, wenn sie bei Theo wieder für eine Woche ist. Sie wechseln sich wochenweise ab. Eigentlich doch ein sinnvoller Kompromiss. Theo muss keinen Unterhalt zahlen, und sie braucht ihre Freiheit. So hat sie viel Zeit für ihre Freundinnen, mit denen sie halbe Nächte durchquatscht oder sonst was macht. Und man sieht sie jetzt meistens mit Ritschie ...

"Der läuft ja den ganzen Tag hinter ihr her, hast du mal gesehen, wie er sie angafft, der tut alles für sie. Sie nutzt ihn aus, manchmal lässt sie ihn bestimmt ran, damit er weiter spurt." Theo redet sich in Rage, er ist stinksauer.

"Was ist los? War was Besonderes?"

"Es kommt gerade alles zusammen. Erst verlässt mich Marie. Dazu noch meine Privatinsolvenz. Jetzt der Jobverlust und schließlich der Tod meines Vaters. Das hat mich alles umgehauen. Und weißt du nicht, dass ich drei Monate in der Klapse war?"

"Nee, woher soll ich das wissen? Ich bin ja auch nur manchmal in der Südstadt. Wenn ich ausgehe, dann meistens vor oder nach dem Kino oder..." Theo fällt mir ins Wort: "Und dabei bin ich vom Stoff fast los! Das habe ich nur für Marayle gemacht, und damit es mit Marie und mir weitergeht, aber da kann ich mich ja auf den Kopf stellen, sie ignoriert mich. Und sie erzählt Lügen über mich, das kannst du dir nicht vorstellen. Und wenn wir reden müssen, dann ist sie so unverschämt, ich könnte heulen!"

Das kann ich nachvollziehen. Ich glaube ihm. Macht einen ehrlichen Eindruck. Er muss sich was von der Seele reden. Da bin ich jetzt wohl der einzige Gesprächspartner im Karnevalstrubel, weil ich auch gerade Wasser trinke. Wir beschließen noch etwas zu essen, denn wenn ich gleich wieder Kölsch trinke, brauche ich eine Grundlage. Wir stehen an und die Meute singt sinnigerweise "Leev Marie, ich bin kein Mann für eine Nacht", den Paveier-Hit aus 2015. Auch in diesem Jahr wieder in den kölschen Top-Ten! Doch das kommt jetzt bei Theo gar nicht gut an. Schnell komme ich auf das Drogen-Thema zurück und mache ihm ein Kompliment:

"Das hätte ich nicht gedacht, wie hast du das geschafft?"

"Wenn du Harz IV bekommst und drei Monate in der Klapse bist, dann bleibt dir gar nichts anderes übrig. Aber richtig abhängig war ich nie." Oh, das habe ich aber anders gesehen, sag aber nichts, weil ich 'nicht vom Fach bin'. Wir schweigen, zumal wir auch gerade jeweils eine ausreichende Portion Currywurst mit Fritten essen und aufpassen müssen, dass uns niemand anrempelt.

"Weißt du, dass wir früher monatlich etwa 1000 €, manchmal 1100 € dafür ausgegeben haben?"

Ich bin sprachlos ...

"Marie hat ihren erzählt Eltern, wir hätten uns getrennt, weil sie die Miete für unsere Wohnung allein zahlen muss und auch die Ausgaben für Lebensmittel usw., während ich mein Einkommen für mich allein gebraucht habe. Das stimmt gar nicht. Sie lügt ohne rot zu werden, denn ich habe fast mein ganzes Einkommen für unser Speed und Gras ausgegeben. Dafür war sich Madame zu schade. Sie wollte aus beruflichen Gründen nichts mit Dealern zu tun haben, also musste ich alles besorgen. Aber konsumiert hat sie mehr als ich, ehrlich! Und ihre Eltern denken immer noch, dass sie die brave Tochter ist, die gute Mutter, toll im Beruf ... wenn die wüssten. Aber da kann ich nichts sagen, sonst haben wir noch mehr Stress wegen Marayle. Sie wirft mir immer vor, dass ich die Kleine zu sehr verwöhne. Jetzt als Arbeitsloser habe ich natürlich mehr Zeit als sie. Das sehe ich ein. Aber so langsam sie mit der Hausarbeit ist, kommt sie nie auf einen grünen Zweig. Früher habe ich mich neben meinem Beruf auch noch um den Haushalt gekümmert. Wenn du gesehen hättest, wie langsam sie Wäsche zusammenlegt, dann hättest du es auch gleich selber gemacht, der Wäschekorb wurde einfach nicht leer.

Und wenn ihre Eltern mal bei uns waren, dann hat sie stets den Staubsauger rausgeholt. Ihr Vater hat mir mehrmals gesagt, ich könne doch Marie bei der Hausarbeit auch mal unterstützen. Aber ich habe nichts gesagt, weil ich sie sonst wieder als Furie erlebt hätte! Und glaub mir eins: schon lange vor der Geburt hat sie dicht gemacht. Wir haben seit drei Jahren nicht miteinander geschlafen. Stell dir das mal vor. Ich könnte heu­len, ich habe mich so bemüht, alles umsonst, ich wollte doch eine richtige Familie, wir kommen ja beide nicht gerade aus so tollen Verhältnissen, aber das ist ja jetzt seit einem Jahr Geschichte."

"Na, wenn man es mal positiv sieht, dann hat sie dich auserkoren, Vater ihrer Tochter zu werden, das ehrt dich doch, oder? Sie hat keinen anderen gewollt als dich, oder?"

"Also wir waren doch damals eng liiert, es kam ja kein anderer dafür infrage. Wenn du wüsstest, was wir alles miteinander angestellt haben, wenn ich damit anfangen würde, dann verginge dir Hören und Sehen!"

"Und welche Perspektive siehst du jetzt für dich, was hast du vor?" Ich änderte das Thema und hatte nicht vor, dass mir Hören und Sehen vergeht.

"Das weiß ich noch nicht, daran kann ich noch nicht wieder denken. Aber ich habe jetzt einen Schrebergarten, da kann ich mich ablenken und Marayle ist glücklich. Das tut mir so gut, das glaubst du gar nicht. Und wenn ich sie nach meiner Woche montags im Kindergarten abgebe - Marie holt sie dann ja nachmittags ab - dann geht es mir saudreckig. Früher hätte ich mir was eingeworfen, jetzt habe ich im Garten aber wirklich tolle Pflanzen, Aphrodisiaka aus Mexiko, wie Damiana oder Epazote, das ist ganz legal, du zerreibst ein Blatt etwas und isst es".  Ich notiere mir die Namen ins Handy und will sie später mal googlen ...

"Du musst mich unbedingt im Garten besuchen kommen. Ich ruf dich an ..." So, jetzt geht es ihm schon besser. Und mir? Ich habe jetzt zwar eine Grundlage für weitere alkoholische Getränke zu mir genommen, aber auf der anderen Seite hat Theos Geschichte etwas Bedrückendes. Hat echt Pech gehabt, zumal ich auch weiß, dass er seinen Lappen abgeben musste. Jetzt wartet er auf die MPU und muss regelmäßig seine Haarprobe untersuchen lassen. Es wird auch Zeit, dass er wieder in seinen Beruf einsteigt. Das wird ihn fordern, etwas ablenken ... Und während ich so sinne, steht Walter vor uns, ist mit Theo verabredet! Walter hat auch einen Garten, wie ich erfahre. Wir verabschieden uns ...

Und Anja und Britta sind da, ihnen ist es jetzt im Filos auch zu voll.

"Ist das nicht der ehemalige Freund von Marie?", fragt mich Britta. "Mit der warst du doch bis vor kurzem zusammen.“ Sie macht eine Pause und schaut mir direkt in die Augen. „Weiß er das?"

"Nee“, erwidere ich und halte ihren Blick einige Sekunden aus. Dann wende ich mich ab. „Werde ich ihm bei Gelegenheit mal erzählen... Heute war er auch so schon echt mies drauf!"

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© Klaus Kirschbaum